Demokratie in der Schule - Schule der Demokratie
                   
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»20 Jahre Deutsche Einheit / Schule in der Demokratie ‐ Demokratie in der Schule«
Im Geiste der Ereignisse

Anfang 2010: Enthüllungen über systematischen Kindesmissbrauch schockieren die Öffentlichkeit. Besonders prominent geraten zwei Schulen ins Visier: Das katholische Canisius‐Kolleg in Berlin und die seit über 100 Jahren als reformpädagogisch geltende Odenwaldschule in Hessen.

Enthüllungen über Kindesmissbrauch

Zwei Eliteschulen entpuppen sich nun als etablierte geschlossene Systeme sex­ueller Übergriffe und Ausbeutung. Die bagatellisierenden Äußerungen des Hartmut von Hentig, dem Doyen der deutschen Reformpädagogik, über den langjäh rigen Direktor der Odenwaldschule, Gerold Becker, bringt alternative Erziehungskonzepte weiter in Verruf. Reformpädagogik und sexueller Missbrauch waren scheinbar in den Strudel ein und desselben öffentlichen Diskurses geraten.

Schülerinnen und Schüler aus allen Bundesländern haben bei der 21. Lernstatt Demokratie in Tutzing vom 21. bis 24. Juni 2011 ihre Erfahrungen im Demokratie Lernen ausgetauscht. Sie stellten die Ergebnisse von 46 Demokratieprojekten aus ihren Schulen vor. Das LISUM präsentierte neben einer Ausstellung, als Herausgeber gemeinsam mit anderen Landesinsituiten und Kooperationspartnern ein Informationsmaterial "Merkmale demokratiepädagogischer Schulen - ein Katalog".

PISA-Studie Im Juni 2010 werden in Deutschland die Ergebnisse des Ländervergleichs nach PISA 2009 - das sog. Länderranking - veröffentlicht. Im Ergebnis scheint es sich im Süden Deutschlands, vor allem in Sachsen, Baden-Württemberg und Bayern, am besten zu lernen. Von einer insgesamt positiven Entwicklung ist die Rede - dennoch zeigt sich, dass nach wie vor Kinder aus »prekären« Verhältnissen sowie aus Familien mit Migrationshintergrund deutlich hinter den durchschnittlichen Bildungserwartungen liegen.
Demokratie lernen und leben ist mittlerweile in allen Bundesländern Teil schulischer Arbeit und schulischen Lebens. So sind Aspekte demokratischen Lernens Teil der Rahmenlehrpläne (RLP) einzelner Fächer, z. B. in Geschichte und Politischer Bildung, oder auch fächerübergreifendes Querschnittthema von Schule. Nicht zuletzt machte der Beschluss der KMK zur Stärkung der Demokratieerziehung vom 06.03.2009 (http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2009/2009_03_06-Staerkung_Demokratieerziehung.pdf) deutlich, dass Demokratie lernen und leben in der Schule sowohl im Unterricht als auch in der demokratischen Gestaltung und Entwicklung des Schullebens einen festen Platz haben muss: In dem Beschluss heißt es:

"Demokratieerziehung ist Aufgabe aller Fächer. In jedem Fach wie auch außerhalb des Unterrichts geht es darum, die Verantwortungsübernahme durch Schülerinnen und Schüler sowohl zu fordern als auch fördern und sie damit zugleich beim Aufbau persönlicher und sozialer Kompetenz zu unterstützen."

Das sind ein paar Schlagzeilen, aus denen der Geist für das Projekt »20 Jahre Deutsche Einheit/Schule in der Demokratie – Demokratie in der Schule« hervorgegangen ist. Wir haben die Frage verfolgt, ob in demokratisch verfassten Schulen wie selbstverständlich Eigenverantwortung und Selbstbestimmung gedeihen können. Und ob es tatsächlich die geeignete Form ist, jegliche Formen von Menschenverachtung, Missbrauch oder Diskriminierung auszuschließen. Das Ziel des Gesamtprojekts war es, Möglichkeiten und Grenzen von mehr Demokratie in der Schule auszuloten und konkret darüber nachzudenken, welche Schritte zu gehen seien, um die Demokratisierung von Schulen voranzutreiben bzw. zu ermöglichen (siehe v.a. Demokratie­tagung).

Eine Tagung zum Thema »Kinderschutz» stellte sich vor allem die Frage, was an Schulen bei Missbrauchsfällen zu tun sei und wie eine effektive Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugendhilfe aussehen könne. Die Demokratietagung setzte sich mit den Möglichkeiten einer Standardisierung demokratischer Schulpraxis auseinander. In Israel schauten wir uns Praxisbeispiele an. Und das Zeitzeugenprojekt leistete u.a. einen Beitrag dafür, den Wert der demokratischen Grundordnung auch in einer historischen Perspektive zu erkennen.

Das Thema:
Demokratie-Lernen, Demokratisch Handeln und Demokratiepädagogik

In den Debatten von politischer Bildung und wissenschaftlicher Schulpädagogik haben sich seit 2001 die Begriffe „Demokratie Handeln“ (Beutel/Fauser 1990; 2001), „Demokratie Lernen“ (Fauser/Edelstein 2001, Himmelmann 2001) und „Demokratiepädagogik“ (Beutel/Fauser 2007; de Haan/Edelstein/Eikel 2007) etabliert. Begleitet wurde dies durch eine zunächst heftige Kontroverse zwischen der schulpädagogisch fundierten Demokratiepädagogik und der fachdidaktisch begründeten Politischen Bildung. Eine bibliographische Übersicht zur Publizistik zu diesem Themenkreis listet für den Zeitraum 2001 bis 2007 über 90 Beiträge und Buchtitel.


Demokratiepädagogik und Demokratie-Lernen – ein Phänomen seit 2001?

Bereits in den 1990er-Jahren hat sich mit dem „Förderprogramm Demokratisch Handeln“ eine Initiative etabliert, die praktische Unterstützung und Veränderung der Schulwirklichkeit, wissenschaftliche Einsichten in die Schulentwicklung und einen bundesweiten Wettbewerb für Schüler und Schulen erfolgreich miteinander verbinden konnte (Beutel/Fauser 1990). Erste Überlegungen und Vorbereitungen zu diesem Projekt datieren von 1989, noch vor der politischen Wende in der ehemaligen DDR. Ausgangspunkt waren zunächst drei gesellschaftliche, politische und pädagogische Erscheinungen: Einerseits waren dies die Diskussionen der 1980er-Jahre um die zunehmende Abwendung der Jugendlichen von der Politik – der Beginn der inzwischen vielfältig beschriebenen und beklagten „Politikverdrossenheit“ (Wissmann/Hauck 1983; Arzheimer 2002). Zum zweiten trug das Erscheinen einer „Neuen Rechten“ insbesondere in den Kommunalparlamenten mit der Partei der „Republikaner“ zu dieser Programmgenese bei. In den ersten zehn Jahren seiner bisherigen Laufzeit konnte dieses Förderprogramm Demokratisch Handeln im Feld der Schulentwicklung als Seismograph und Sammelinstrument sowie ganz praktisch auch als Schul- und Schülerwettbewerb etabliert und stabilisiert werden.

Im Jahr 2001 – nach bereits mehr als zehnjähriger Laufzeit von „Demokratisch Handeln“ – trafen jedoch drei Entwicklungen aufeinander. Zum einen gelang es, ein Modellprogramm „Demokratie lernen und leben“ der Bund-Länder-Kommission zur Bildungsplanung und Forschungsförderung auf der Basis einer Expertise von Wolfgang Edelstein und Peter Fauser (2001) zu etablieren, das seit März 2007 erfolgreich abgeschlossen ist. Auch diesem Programm liegen Vorüberlegungen bereits seit 1998 zugrunde. Diese Überlegungen gingen aus von der der damals neu gewählten Bundesregierung „... und den Länderregierungen sowie von Städten, Kommunen und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen (...), um Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus entgegen zu wirken“ (Welz 2005). In die Programmgestaltung ist die Expertise des Förderprogramms Demokratisch Handeln ebenfalls eingeflossen.

Parallel dazu konnten wir seitens Förderprogramms die Bilanz aus der zehnjährigen Arbeit und Erfahrung ziehen und haben diese Ergebnisse publiziert sowie konzeptionell mit dem Begriff „Erfahrene Demokratie“ untermauert (Beutel/Fauser 2001). Ebenfalls in diesem Jahr argumentierte der Braunschweiger Politikdidaktiker Gerhard Himmelmann mit seiner Schrift „Demokratie lernen als Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform“ (2001) in dieselbe Richtung: Allen drei Ansätzen – dem BLK-Programm, dem Förderprogramm Demokratisch Handeln und Gerhard Himmelmanns Grundlagenschrift „Demokratie Lernen“ geht es darum, in der Schulentwicklung und in der politischen Bildung den Schwerpunkt auf die Demokratie und auf das Erfahrungslernen als Bezugsgrößen des pädagogischen Handelns zu setzen.


Worum es geht: Demokratiepädagogik

Himmelmann verbindet mit seiner Konzeption einen kritischen Blick auf die Diskussionen der Fachdidaktik der Politischen Bildung, deren hauptsächliche Aufgabe traditionellerweise darin liegt, tragfähige Unterrichtskonzepte und Inhaltsentscheidungen für eine wirksame politischdemokratische Erziehung zu generieren sowie für eine moderne Fachlehrerausbildung zu sorgen. Gerhard Himmelmann diagnostiziert der fachdidaktischen Diskussion eine zu starke Ausrichtung ihrer Konzepte von politischer Bildung an der Bezugsgröße „Politik“. Dies begründet er unter anderem vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die zivilgesellschaftlichen Bemühungen und die Vitalisierung der Demokratie als Lebens- und Kulturform auf diese traditionelle Art und Weise nicht zureichend erfasst, ausgewertet und weitervermittelt werden. Was folgt daraus für Schule und Unterricht? Erziehung zur Demokratie als Lebensform bezieht sich auf Alltag und Lebenswelt von Schülerinnen und Schülern und umfasst alles, was „... auf Gewaltlosigkeit und Toleranz im sozialen Umgang, auf die Förderung von Zivilität, sozialer Kooperation und Solidarität unter Respektierung der Vielfalt von Lebensstilen und auf die Förderung von Selbstorganisation, Selbstwirksamkeit, Selbstvertrauen abzielt.“ (Himmelmann 2004, S. 14).

Diese fachdidaktische Position korrespondiert mit der Konzeption von Demokratie, die dem Förderprogramm Demokratisch Handeln zugrunde liegt. Dort geht es nicht allein um Wissensvermittlung durch Unterricht: „Es geht vielmehr um Demokratie als Lebensform, es geht um die Chance, in die Demokratie hineinzuwachsen. Die Schule soll Erfahrungen mit Demokratie ermöglichen und weitergeben, eigenes Handeln und Mitwirkung fördern. Schulpädagogisch gesehen, ist mit dieser Forderung eine ganz besondere Lernqualität und eine ganz besondere Schulqualität angesprochen: ein Lernen, das nicht nur auf Wissen, sondern auf beidem, auf Wissen und auf Erfahrung beruht, und eine Schule, die ein solches Lernen durch Erfahrung ermöglicht“ (Beutel/Fauser 2001, S. 28).

Einer solchen auf Demokratie als pädagogischer Aufgabe schulischer Sozialisation und schulischen Lernens verbundenen Linie folgt namentlich auch die Begründung des BLK-Programms. Dessen Thema „Demokratie lernen und leben“ wird als „zusammenfassende Formel und Leitlinie für den Analyse- und Handlungsrahmen verstanden, innerhalb dessen die demokratiepädagogische Aufgabenstellung verläuft“. Das Programm strukturiert dabei den Entwicklungsrahmen der schulischen Modelle unter drei Aspekten: „1. Demokratie als Aufgabe und Ziel von Erziehung, Schule und Jugendarbeit. 2. Demokratie als politischer und als pädagogischer Begriff. 3. Demokratie und Schulentwicklung: Lernqualität und Schulqualität.“ (Edelstein/Fauser 2001, S. 17). Das Demokratie-Konzept des Programms folgt dabei einem umfassenden Rahmen und meint eine lebenspraktische, kulturelle fundierte und der aufklärerischen Tradition der westlichen Moderne folgenden Linie. „‚Demokratie‘ wird in ihrer umfassenden modernen Bedeutung als Qualität des gelebten Alltags sowie der gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung begriffen, als Lebensform und als Verfassung, die sich am Anspruch humaner Verhältnisse misst und entsprechend den Verzicht auf (innergesellschaftliche) Gewalt fordert“ (ebd. S. 18).


Die Gründung eines Verbandes als „Dachmarke“ – die DeGeDe

Mit der Halbzeitkonferenz des BLK-Programms „Demokratie lernen und leben“ im Frühjahr 2005 wurde zudem die Gründung einer neuen Fach- und Interessenvereinigung, der „Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik“ (www.degede.de) vorbereitet und vollzogen.

Die DeGeDe ist eine gemeinnützige Vereinigung, die sich für Demokratie in Bildungs- und Jugendeinrichtungen engagiert. Eine wichtige Aufgabe sieht diese Fachgesellschaft in der „Entwicklung demokratischen Lernens und demokratischer Kultur in der Schule – gemeinsam mit Schülern, Eltern, Lehrern und allen, die sich in Wissenschaft, Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft mit Erziehung und Bildung beschäftigen“1. Hierzu sollen die Verbindung zwischen Akteuren und Initiativen hergestellt, stabilisiert und gestärkt sowie eigene Innovationsprojekte entwickelt werden. Auch diese Gründung wurde innerhalb der fachlichen und institutionellen Strukturen der etablierten Politischen Bildung mit großer Skepsis aufgenommen (GPJE 2004). Wobei hier festgehalten werden muss, dass die DeGeDe weder eine akademische Fachgesellschaft im engeren Sinne wie die Vereinigung der Fachdidaktiker der deutschen Hochschulen GPJE oder ein Fach- und Fachlehrerverband wie die DVpB ist, also in deren Handlungs- und Interessenfeldern keinerlei Konkurrenz stiftet.

Wir können festhalten: Ohne dass sich die Autoren der im Jahr 2001 publizierten Konzepte in ihrer schulbezogenen und wissenschaftlichen Arbeit zuvor näher kennen gelernt hatten, ist doch eine bemerkenswerte Übereinstimmung in der kritischen politikdidaktischen Sicht Himmelmanns und in der schulpädagogischen Begründung und Auswertung des Förderprogramms Demokratisch Handeln (Beutel/Fauser) sowie des BLK-Programms „Demokratie lernen und leben“ (Edelstein und de Haan) zu erkennen. Es zeigt sich rückblickend, dass auf eher zufällige Art ein neues politikdidaktisches Konzept mit der bereits mehrere Jahre laufenden schulpädagogischen Arbeit zur Frage der Demokratiepädagogik und mit einer Bund-Länder-Initiative aus dem Raum der praktischen Politik korrespondiert.

Abseits aller anhaltenden Diskussionen im Einzelfall und in der Akzentsetzung kann man darin einen neu gewonnene gemeinsame Perspektive erkennen, die zumindest in der praktischen Auseinandersetzung von Schulen mit der Aufgabe der demokratischen Erziehung eine zunehmend größere Rolle spielt: Die Demokratiepädagogik!


Grundlagen der Demokratiepädagogik

Die Einsicht in die Notwendigkeit, Wissen über die Demokratie, demokratische Werthaltung und die Bereitschaft zum Engagement für die Demokratie in der Bevölkerung – vor allem in Jugendbildung und Schule – zu fördern und zu stärken, ist eine gemeinsam geteilte Grundüberzeugung in der Fachdidaktik der Politischen Bildung und in der Demokratiepädagogik. Dabei kann man festhalten, dass „Demokratisch Handeln“, „Demokratie Lernen“ und „Demokratiepädagogik“ auf eine spezifische Aufgabe schulischen Lernens und Lehrens aufmerksam machen wollen, die den Fachunterricht Politik keinesfalls obsolet machen soll, die sich aber auch nicht alleine in den die Debatten der Fachdidaktik in den letzten Jahren prägenden Thesen und Modellen zum „fächerverbindenden und fächerübergreifenden Lernen“ und zum „sozialen Lernen“ sowie der „Politischen Bildung“ als Unterrichtsprinzip erschöpft.

Die Schulpädagogik als berufsbegleitende Lehre und als Fachwissenschaft für Lehrerinnen und Lehrer hat die „Schule als bürokratische Rationalität“ (Lenhardt 1984) und ihre gesellschaftlichen Wirkungsmächte bislang v.a. unter rein soziologisch-funktionalen Gesichtspunkten erfasst und erst in den letzten Jahren die Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Schule als demokratischer Kultur und Atmosphäre wieder in den Blick genommen. Einschlägige Förderprogramme wie eben „Demokratisch Handeln“, bürgerschaftliche Initiativen wie bspw. die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) oder die „Woche der Bürgergesellschaft“ beim 50-Jahre-Jubiläum des GG, zahlreiche Initiativen von Bosch-Stiftung, Bertelsmann-Stiftung, Freudenberg-Stiftung und anderen und nicht zuletzt das BLK-Modellprogramm „Demokratie lernen & leben“ haben dem Thema einen erheblichen Aufmerksamkeitsschub gegeben. Dieser zivilgesellschaftliche Impuls prägt die Debatte und die Entwicklungspraxis der Demokratiepädagogik in starkem Maße.

Trotzdem ist das Problem fehlender Bindungen insbesondere von Jugendlichen und Heranwachsenden an die Demokratie als Kultur- und Gesellschaftsform nicht abschließend gelöst. Vielmehr handelt es sich um eine Daueraufgabe von Schule und politischer Bildung. Auch in der Politik fordern jüngere Kräfte – wie bspw. in der SPD-Bundestags-Fraktion der MdB Hans-Peter Bartels – ein „Institut für Didaktik der Demokratie“ bzw. verstärkte „demokratiepolitische“ Anstrengungen von Legislative, Exekutive als Beitrag zur demokratischen Kultur (Bartels 2007).

Man kann also mit einer Argumentation von Peter Fauser zusammenfassen: „Demokratie Lernen“, „Demokratisch Handeln“ oder besser und summativ gesprochen die „Demokratiepädagogik“ umschreiben die gemeinsame Aufgabe zivilgesellschaftlich ausgerichteter Initiativen, Konzepte, Programme und Aktivitäten in Praxis und Wissenschaft, die das Ziel verfolgen, die Erziehung zur Demokratie zu fördern. Demokratie wird dabei als historische Errungenschaft begriffen, deren Verständnis und praktische Geltung durch politisches wie durch pädagogisches Handeln ständig aktiv erneuert und verwirklicht werden muss – als Regierungsform, als Gesellschaftsform und als Lebensform. Wir sprechen dabei deshalb von „Demokratiepädagogik“, weil „Demokratie“ nicht angeboren ist, sondern gelernt werden muss. Dieses Lernen begnügt sich nicht mit Wissen, sondern fordert darüber hinaus die Förderung von Kompetenz. Das Konzept „demokratischer Handlungskompetenz“ meint dabei „die Handlungsfähigkeit und Handlungsbereitschaft, die erforderlich ist, um als mündiger, verantwortungsfähiger Bürger in der modernen Welt bestehen und mitwirken zu können“ (Fauser 2007b, S. 203). Demokratie bezeichnet also nicht nur „... ein inhaltliches, methodisches oder fachliches Spezialgebiet, sondern eine pädagogische Aufgabe und einen normativen Anspruch für die Erziehung insgesamt“ (a.a.O.).

„Demokratiepädagogik“ beschreibt aber nicht nur eine schulpädagogische Perspektive auf eine Herausforderung von allgemeiner Bildung in der Schule und Politischer Bildung im Schulfach. Sie hat darüber hinaus das Ziel, praktische Erfahrungen und Einsichten mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu verbinden und öffentlich zu vermitteln. Sie soll Versuche, Förderprogramme und Forschungen anregen und begleiten, die internationale Zusammenarbeit voranbringen und sich an der Bildung von Partnerschaften zivilgesellschaftlicher und staatlicher Akteure für diese Aufgabe befördern.

Ein weiteres kommt hinzu: Trotz aller sichtbaren Wissensdefizite über die Demokratie und den schwierigen Umgang mit ihr kann die öffentliche Debatte sich nicht darauf begrenzen, ständig und erneut lediglich im Gestus des Mangels und des Forderns gegenüber den Schulen mit ihren Lehrkräften, den Kindern und Jugendlichen über Defizite und mangelnde Wertorientierungen zu klagen. Gerade wenn es darum gehen soll, demokratische Handlungskompetenz zu fördern und der Demokratie Legitimation zu verschaffen, indem sie für die jungen Menschen zu einem Wert wird, für den es sich einzutreten lohnt, können wir nicht nur Wissen über die Demokratie als politische Ordnungsform einfordern. Vielmehr müssen wir die Demokratie als kulturell zu erwerbende und täglich zu reproduzierende Lebensform und Werthaltung in Schule und Jugendarbeit pädagogisch erfahrbar machen.



Literatur:

Arzheimer, K.: Politikverdrossenheit. Bedeutung, Verwendung und empirische Relevanz eines politikwissenschaftlichen Begriffs. Opladen 2002 (Westdeutscher Verlag).

Bartels, H.-P.: Demokratie vererbt sich nicht. Junge Deutsche brauchen mehr politische Bildung. In: die ZEIT, Ausgabe 3/2007 v. 18.01.

Beutel, Wolfgang: Demokratisch Handeln in der Schule – Beitrag zur Demokratiepädagogik oder Ärgernis für die politische Bildung? In: Lehren und Lernen 2006, Heft 1, S. 9-15.

Beutel, W., Fauser, P. (Hrsg.): Demokratisch Handeln. Dokumentation des Kolloquiums „Schule der Demokratie“. Herausgegeben im Auftrag der Theodor-Heuss-Stiftung und der Akademie für Bildungsreform. Tübingen/Hamburg 1990 (Schöppe & Schwarzenbart).

Beutel, W., Fauser, P. (Hrsg.): Erfahrene Demokratie. Wie Politik praktisch gelernt werden kann. Opladen 2001 (Leske+Budrich), 358 S.

Beutel, W., Fauser, P. (Hrsg.): Demokratiepädagogik: Lernen für die Zivilgesellschaft. Schwalbach/Ts. 2007 (Wochenschau-Verlag)

Beutel, W./Fauser, P. (Hrsg.): Kerngeschäft oder Beiwerk? Schwalbach/Ts. 2008 (in Vorbereitung) Edelstein, W./Fauser, P.: Demokratie lernen und leben. Gutachten zum BLK-Modellprojekt. Bonn 2001. Fauser, P.: Lernen als innere Wirklichkeit. In: Neue Sammlung 42(2002)2, S. 39-68.

Fauser, P.: Demokratiepädagogik. In: Lange, D. (Hrsg.): Konzeptionen politischer Bildung, Bd. 1 aus Lange, D./Reinhardt, V. (Hrsg.): Basiswissen Politische Bildung, Hohengehren 2007 (Schneider-Verlag), S. 83-92. (a)

Fauser, P.: Was ist Demokratiepädagogik? – Eine funktionale Bestimmung. In: Beutel/Fauser (2007), S. 202-203. (b)

GPJE: Demokratie-Lernen ist Teil der Politischen Bildung – Wider dem Aufbau von Alternativstrukturen in der Politischen Bildung in Deutschland. In: Polis, H. 4/2004, S. 27.

Haan, G. de/Edelstein, W./Eikel, A.: Qualitätsrahmen Demokratiepädagogik. Demokratische Handlungskompetenz fördern, demokratische Schulqualität entwickeln. Weinheim/Basel 2007 (Beltz).

Himmelmann, G.: Demokratie lernen als Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform. Schwalbach/Ts. 2001(Wochenschau-Verlag)

Lenhardt, G.: Schule und bürokratische Rationalität. Frankfurt/M. 1984 (Suhrkamp). Welz, Eberhard: Genese des BK-Programms „Demokratie lernen und leben“. Hrsgg. von der RAA Berlin 2005.

Wissmann, M./Hauck, (hrsg.): Jugendprotest im demokratischen Staat. Bericht der Enquete-Kommission des Dt. Bundestages. Stuttgart 1983 (Edition Weitbrecht)

Begründung von Genese und Konzept der Demokratiepädagogik. Erheblich gekürzte Fassung des Beitrages von Wolfgang Beutel: Demokratie-Lernen, Demokratiepädagogik und Demokratisch Handeln. Erschienen in: Politisches Lernen. Zeitschrift der DVpB NRW (Cornelsen) 26 Jg., 2008, H. 1-2, S. 75-82.

Demokratie messen?

An der Georg-August-Universität Göttingen möchten wir herausfinden wie man demokratische Einstellungen und Haltungen messen kann. Mit dem Fragebogen bekommt man eine erste Idee von unserem Forschungsprojekt. Wer die Arbeit unterstützen möchte, kann ihn ausfüllen und per Mail, Fax oder Post an uns senden. Wir werten ihn aus und geben gerne eine Rückmeldung.


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